Samstag, 30. Mai 2020

Grußworte zu Pfingsten

Pfingsten, Heiliger Geist (Foto: pixabay.com)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Pfingsten. Sie werden mit diesem Fest und diesem Begriff den Heiligen Geist und die Kirche in Verbindung bringen. Pfingsten, das Geburtsfest der Kirche und der Festtag des Heiligen Geistes. Pfingsten ist Freude, ist Aufbruch, ist Dynamik, ist Leben und Freiheit.

Wie die Ostertage, so werden wir Pfingsten in diesem Jahr mit sehr unterschiedlichen Gefühlen feiern. Es mag sich bei der einen oder dem anderen vielleicht keine Festfreude einstellen und Befürchtungen vorherrschen, dass ein allzu schneller Aufbruch und die von einigen erstrebte gesellschaftliche Öffnung und Dynamik verfrüht wären. Andere begrüßen diese Entwicklung und fordern weitere Schritte hin zu einer ‚Normalität‘ ein. Die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate haben mir deutlich die vielfältigen Grenzen aufgezeigt, die unsere Existenz und unser Zusammenleben bestimmen und prägen. Mit diesen Einsichten las ich in diesem Jahr die Pfingstsequenz mit ganz anderen Augen. Sie ist seit über 500 Jahren fester Bestandteil der Liturgie des Pfingstfestes. Ihr Autor ist unbekannt. Sie wird Erzbischof Stephan Langton (†1228) zugeschrieben.

Wir verbinden Heilungen mit Jesus. Die Evangelien erzählen davon. Kranke werden aufgerichtet, ihnen wird Gesundheit geschenkt und Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben ermöglicht. Jesus wird von den Kirchenvätern daher mit einem Arzt verglichen, der nicht nur den Körper, sondern auch die Seele heilt. Die Evangelien verstehen diese Heilungen als Zeichen des nahen Gottesreiches. Im Lukas-Evangelium lesen wir, wie Jesus in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazaret die Buchrolle des Propheten Jesaja überreicht wird. Der Prophet spricht davon, dass der Gesandte Gottes den Armen die Frohe Botschaft verkünde, den Zerschlagenen Freiheit schenke, den Blinden die Augen öffne und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. (vgl. Lk 4,16ff) Der Psalmist vertraut: ‚Er heilt, die gebrochenen Herzens sind, er verbindet ihre Wunden.‘(Ps 147,3).

Gott heilt den Menschen an Leib und an der Seele. Dies ist die gläubige Überzeugung des Volkes Israel, dies die Erfahrung der Menschen mit Jesus und in den ersten Gemeinden. Die Pfingstsequenz ruft den Heiligen Geist an, ‚die‘ als Heilerin und Pflegerin geglaubt wird. Heile du, wo Krankheit quält‘. Es mag Sie überraschen, dass ich den Heiligen Geist mit einer Frau in Verbindung bringe. Das hebräische Wort für Geist (ruah) ist weiblich. Auf diesem Hintergrund verstanden die syrischen Kirchenväter den Heiligen Geist als ‚weibliches‘ und ‚mütterliches‘ Antlitz Gottes. Wir dürfen uns vor Augen führen, dass im Mittelalter, der Zeit, in der die Sequenz gedichtet wurde, Frauen mit den heilsamen Wirkungen von Kräutern und Blumen vertraut waren. Ein Wissen, das ihnen oft den Tod auf dem Scheiterhaufen bescherte.

Ich lese die Pfingstsequenz in diesen Tagen mit anderen Augen. Ich sehe hinter den einzelnen Strophen das frauliche Gesicht Gottes. Sie ist die Anwältin und Pflegerin der körperlichen und seelischen Leiden. Ich lese aus der Sequenz die liebevolle Zuwendung, die ich brauche. Ich spüre einen Schoss, der mich zur Ruhe einlädt, wo ich in Hektik verfallen möchte. Eine zärtliche Umarmung, die meine Starre aufbricht und meine Dürre aufweicht und einen Platz für keimendes und sprossendes Leben eröffnet.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Dies habe ich nicht nur durch meine Mutter, dies habe ich auch durch meinen Vater erfahren. Gottes Geist ist nicht zu fassen, er übersteigt unsere Vorstellungen des Weiblichen und Männlichen. Ich lese in diesen Tagen die Pfingstsequenz mit anderen Augen. Ich lese aus diesem Gebet die tiefe Hoffnung des Dichters, dass wir nicht aus eigener Kraft die Wunden der Gesellschaft und des einzelnen Menschen zu heilen vermögen. Ich lese daraus die Einladung, unsere Herzen diesem Schoss und den weit geöffneten Armen Jesu anzuvertrauen. Diese göttliche Kraft ist es, die uns in der Hitze der Auseinandersetzungen einen kühlen Ort des Nachdenkens schenkt. Sie ist es, die die gesellschaftlichen und ganz privaten Verwundungen, Ängste und Verhärtungen zu verwandeln vermag. Sie ist es, die uns behutsam und zärtlich die richtigen Schritte gehen und die richtigen Wege einschlagen lässt.

Im Namen des Pastoralteams und der Sekretärinnen wünsche ich Ihnen ein Pfingstfest, das uns mit der zärtlichen und heilenden Sorge Gottes in Berührung bringt.

Ich wünsche Ihnen und uns, dass uns Heilung geschenkt wird, an Leib und unseren Seelen.

Mit den herzlichsten Segenswünschen
Markus Hary, Pfarrer