Samstag, 01. Mai 2021
Grußworte Mai 2021
Liebe Leserin, liebe Leser,
machen Sie sich eine Einkaufsliste? Ich versuche es gelegentlich. Manchmal hefte ich ein Blatt an meine Pinnwand und wenn ich merke, dass etwas fehlt, notiere ich es auf diesen Zettel. Listen sind eine tolle Erfindung. Die ersten schriftlichen Zeugnisse, die wir kennen, sind keine poetischen Gedichte, Mythen oder Erzählungen, sondern Listen. Am Anfang der Schrift stehen Buchhalter und Verwalter. Irgendwie ernüchternd. Aber Listen helfen. Sie helfen festzuhalten, was noch benötigt wird, oder dokumentieren, was noch vorhanden ist. Eine Liste ist auch ein Instrument der Ordnung. Was muss ich noch alles erledigen? Welche nächsten Schritte müssen eingeleitet werden? Kaum tauchten diese Fragen auf, beginne ich damit eine Liste anzufertigen. In einer Liste können wir Dinge oder Tätigkeiten nach gewissen Gesichtspunkten ordnen. Nach Dringlichkeit, was muss zunächst erledigt werden. Nach Aufgabenbereichen, was ist für den Gottesdienst zu planen, welche nächsten Schritte müssen wir in den Kindergärten noch gehen. Listen schaffen Ordnung und helfen, den Überblick zu behalten.
Die Liste, so beschrieb es einmal Umberto Eco, sei daher Ausdruck der Kultur. Und gerade unsere moderne Kultur ist durchweg von Listen geprägt. Eine Eingabe in Google und schon erscheint eine stattliche Liste. Listen der Superreichen erfreuen sich stets der Beliebtheit. Listen legen eine Rangfolge fest. Listen sind eine tolle Erfindung und wir benötigen sie. Peter L. Berger bemerkte, dass wir Menschen eine Ordnung brauchen, um uns sicher zu fühlen. Viele Schöpfungsmythen erzählen von der ordnenden Hand des Göttlichen. Es ist Aufgabe der Gottheit, aus dem Chaos einen Kosmos, eine Ordnung zu machen. Denn das Chaos wird als das Bedrohliche empfunden. Dieser kleine Rundgang durch unseren Alltag macht deutlich: Listen scheinen in ihrer Funktion fast unerschöpflich. Sie dienen unserer Erinnerung, schaffen eine Ordnung, legen eine Rang- und eine Reihenfolge fest. In den letzten Monaten hat sie noch eine andere Bedeutung gewonnen. Sie dienen dazu festzustellen, wer den Gottesdienst besuchen kann und wer nicht. Dazu muss man in einer Liste stehen. Listen machen vieles deutlich, was unser Denken, unser Handeln, unseren Alltag und unser Planen bestimmt.
Über die religiöse Funktion der Liste habe ich schon gesprochen. Es überrascht daher nicht, dass die ersten Seiten der Bibel darauf zurückgreifen. Im ersten Schöpfungsbericht ordnet Gott die Welt. Am ersten Tag dies, am zweiten Tag das usw. Im zweiten Schöpfungsbericht gibt er Adam die Aufgabe, eine Liste von allem Lebendigen anzulegen und zu benennen. Die erste größere Inventur der Weltgeschichte könnte man sagen. Gott scheint also ein Sympathisant von Listen zu sein. So verwundert es nicht, dass viele Verantwortliche in der Kirche und in der Theologie der Versuchung erlagen, dass es auch zum Wesen Gottes gehöre, ein Buchhalter oder Verwalter zu sei. Er peinlichst darauf bedacht sei, eine Liste zu führen, die eine strenge Reihenfolge festlege, ordne, wer dazu und wer eben nicht mehr dazu gehöre. Eine verlockende Vorstellung, weil sie unserer Sympathie für Listen und Ordnungen entgegenkommt.
Die Kirche hatte daher im 19 Jahrhundert eine Liste der Irrtümer aufgestellt. Diese Liste, die den Namen Syllabus trug, hielt fest, welche Vorstellungen, Überzeugungen und Ideen, die die modernen Gesellschaften prägten und bestimmten, eben falsch seien. Papst Johannes XXIII. berief das II. Vatikanische Konzil ein. Er spürte, dass Sicherheit und Ordnung das Denken und Empfinden vieler Verantwortlicher in der Kirche prägten. Sie verstanden die Kirche als Bollwerk gegen den Ungeist, der in der Welt herrsche und wehe. Berühmt geworden sind seine Bilder, die er mit dem Konzil verbinde. Die Bilder, dass die Kirche Fenster und Türen öffnen müsse. Dies bedeutete aber auch, dass sie sich vom Geist, der in der Welt weht, ergreifen und das Bollwerk verlassen muss, um in die Wirklichkeit der Menschen zu treten. Rufen wir uns nochmals Umberto Eco in Erinnerung. Listen seien Ausdruck einer Kultur. Sie sind nicht nur Ausdruck der Notwendigkeit und der Voraussetzungen, die uns Menschen auszeichnen. Sie sind auch vom Geist der jeweiligen Zeit inspiriert. Listen sind keine statischen Monumente, sondern sind sich verändernde Momentaufnahmen. Sie haben ihre Bedeutung, aber nicht für die Ewigkeit. Meinen Einkaufszettel werfe ich nach meinen Einkäufen weg. Meine Tätigkeitsliste arbeite ich ab, Google liefert stets neue Listen und auch unter den Superreichen vollziehen sich Veränderungen. Listen sind Momentaufnahmen, offen für Neues und zu Entdeckendes.
Listen sind offen, wie das Bild der offenen Fenster und offenen Türen, die Papst Johannes XXIII. seiner Kirche ins Herz schreiben wollte. Seine Vision bleibt heute noch aktuell. Wir feiern sie an Pfingsten. Wir bekennen uns zu einem Gott, der ein Sympathisant des Neuen und Ungewöhnlichen ist. Der uns immer schon voraus ist, um uns zu den Menschen zu führen, um mit ihnen gemeinsam seine Weite und Unbegreiflichkeit zu erkunden. Er fordert uns auf, um beim Eingangsbild zu bleiben, offen zu bleiben für das, was den Menschen, unseren Gesellschaften und der Welt fehlt. Dies gilt es festzuhalten und auch abzuarbeiten. Dann wieder von vorne zu beginnen. Ein alltäglicher Einkaufszettel, der uns zu einer G r u ß w o r t Betrachtung über den Heiligen Geist einlud. Ich werde es mir gleich in einer Liste notieren.
Ich wünsche Ihnen gemeinsam mit dem Pastoralteam, Gemeindereferentin Frau Sabrina Lingenfelder-Faber und Herrn Pfarrer Michael Baldauf, den Sekretärinnen, Frau Christine Kapper und Frau Benita Vogel, in der Verwaltung Frau Martina Ulrich, dass wir Sympathisanten des Neuen und Ungewöhnlichen werden.
Mit den herzlichsten Wünschen
Markus Hary, Pfarrer





