Dienstag, 01. Juni 2021
Grußworte Juni 2021
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Absatz von Fahrrädern boomt. Mit oder ohne Motor, das Radfahren hat wieder Konjunktur. Mir fiel, als ich diesen Berichten folgte, die wunderschöne Meditation von Madeleine Delbrêl ein. In einer wunderbaren Leichtigkeit verstand sie es, die Herausforderungen des Glaubens mit der alltäglichen Praxis des Radfahrens zu verbinden.
Das Rad wird gefahren. An der Wand angelehnt, dient es zu nichts. Bewegung scheint die Bestimmung des Rades zu sein. Und genau so sei es mit unserem Glauben, meint Madeleine Delbrêl. Als Glaubende in unserer Zeit. Selbst in Zeiten der Corona-Pandemie lässt sich kaum leugnen, dass Bewegung und Dynamik Kennzeichen unserer Gegenwart sind. Dynamik, Veränderung, Neues, Überraschendes und Ungewohntes, diese Erfahrungen prägen unseren Alltag.
Gegen diese Alltagserfahrungen könnte man einwenden: Aber mein Glaube soll mir einen gewissen Halt geben. Er soll so etwas wie eine Haltestelle sein, die mir die Möglichkeit schenkt, aus dem hastigen Treiben auszusteigen. Solche Haltestellen gab es früher, meint Madeleine Delbrêl. Heute vielleicht noch in Klöstern. Diese Haltepunkte mögen vielen Heiligen wichtig und bedeutsam gewesen sein. Unser Glaube, der im Heute gelebt wird, gibt nur Halt in der Bewegung, in der Dynamik, im Neuen und Überraschenden. Und daher gleicht unser geistliches Leben dem Fahrrad fahren.
Wenn ich meinen Glaubensweg bedenke, dann kann ich mich in der Beurteilung Madeleine Delbrêls wiederfinden. Ich stehe inmitten der Dynamik unserer Zeit, deren Herausforderungen und Veränderungen. Ich bin, ob ich es will oder nicht, ein Teil davon. Sicherheiten werden fragwürdig, Überzeugungen verändern sich, Konzepte erweisen sich als überholt und oftmals bleiben nur Verwunderung und Ratlosigkeit. Vieles scheint schwankend und ich selbst suche nach einer Balance, einem Gleichgewicht.
Um Rad zu fahren, bedarf es einer Balance und einem Gleichgewicht. Ich empfinde mein Glaubensleben als steten Versuch, einen Ausgleich, ein Gleichgewicht und eine Balance zu finden. Nicht nur zwischen den Erfahrungen und Herausforderungen meiner Umwelt, sondern auch zwischen meinen Wünschen, meinen Hoffnungen und meinen - oft kläglichen - Versuchen, in meinem Alltag meinen Glauben zu leben.
Hier erfahre ich mich oft schwankend und nach einem Halt suchend. In den gelungenen und manchmal gescheiterten Begegnungen. In den Zwängen, die vorgegeben und dem Wunsch, sie hinter sich zu lassen. In der Liebe zu diesem unbegreiflichen Gott, und dem Leiden, das so viele Menschen in ihrem Leben zu tragen, zu ertragen und zu erdulden hatten. Ich brauche Ihnen nicht zu schreiben, wie mühsam es oft erscheint, dabei eine Balance, ein Gleichgewicht zu halten.
Wie oft wünsche ich mir in diesen Situationen, dass mir Gott eine klare und eindeutige Richtung zeigt. ‚Wenn ich schon fahren muss, wenn du diese Balance von mir verlangst, dann zeige mir doch wenigstens ein klares Ziel.‘ Mein Gebet, meine Klage, meine Sehnsucht, meine Verzweiflung. Ich stehe vor diesen unbegreiflichen Gott und verlange doch wahrlich nicht zu viel? Doch wie die Lampe eines Fahrrades, so weit lässt mich Gott blicken. Vieles ist noch undeutlich zu sehen, verlangt nach meiner Aufmerksamkeit, verlangt nach meinem Mut, meinem Vertrauen und baut auf meinem Vermögen, das Gleichgewicht zu halten.
Mein Glaube hat viel mit dem Fahren eines Rades gemein. Dies habe ich wieder neu bei Madeleine Delbrêl gelernt. Ich blicke auf ihn und Gott blickt auf mich. ‚Ich brauche‘, so rufe ich ihm zu. ‚Du hast dich‘, antwortet er mir. Ich erinnere mich, da ich diese Zeilen schreibe, an meinen ersten Versuch mit meinem Fahrrad ohne Stützräder zu fahren. Mein Vater hielt mich, ich trat in die Pedalen und fuhr los. Im Rücken das Vertrauen, dass mein Vater mich immer noch hält. Nicht er hielt mich, sondern mein Vermögen, die Balance zu halten und zu fahren. Ohne mein Vertrauen in meinen Vater hätte ich kaum meine Fähigkeiten in diesem Moment gelebt und eingesetzt.
Wenn Sie das nächste Mal auf Ihr Fahrrad steigen, rufen Sie sich diese Gedanken der ‚Mystikerin der Straße‘ ins Gedächtnis. Ich tue es immer mal wieder. Und wenn ich fahre, dann schenkt mir Gott schöne Erfahrungen. Das Fahren tut mir gut und ich freue mich an allem, was mir begegnet. So ist es auch mit dem Abenteuer meines Glaubens. Er tut mir gut und ich bin dankbar für alles, was Gott mich ‚erfahren‘ lässt.
Ich wünsche Ihnen gemeinsam mit dem Pastoralteam, Gemeindereferentin Frau Sabrina Lingenfelder-Faber und Herrn Pfarrer Michael Baldauf, den Sekretärinnen, Frau Christine Kapper und Frau Benita Vogel, in der Verwaltung Frau Martina Ulrich, Gottes guten Segen.
Mit den herzlichsten Wünschen
Markus Hary
Pfarrer





